| Ausschnitt aus dem ersten Kapitel Leseprobe
Der Mann erwachte wie ein Hund, in dessen Traum sich ein seltsamer Geruch 
        eingeschlichen hat.
 Er stand in einem undurchdringlichen Dunkel, in einer Lautlosigkeit, die 
        wie ein dicker Armeemantel auf ihm lastete. Der Mann stand unbeweglich 
        da und hielt die Luft an. Seine Augen waren die eines Blinden. Seine Ohren 
        die eines Tauben. Kein Licht, kein Laut. Nur erdrückende Dunkelheit. 
        Der Mann hörte das unruhige Rauschen seines Blutes. Er schloss die 
        Augen und öffnete sie wieder, versuchte sich davon zu überzeugen, 
        dass es irgendeine rationale Erklärung für diesen Zustand gab. 
        Einige unendlich lange Augenblicke, dann stieg aus den tiefsten Winkeln 
        des Bewusstseins klammheimlich ein Gedanke zur Oberfläche auf. Der 
        Gedanke an den eigenen Tod.
 Der Mann versuchte, den Gedanken beiseite zu schieben, doch dieser schien 
        ihn einfach nicht loszulassen. Wie der Schwimmer einer Angel, der nicht 
        unter der Wasseroberfläche bleiben will. Der Mann schloss die Augen. 
        Unter den Augenlidern, in seinen vor Angst erstarrten Pupillen, tanzte 
        eine gelbliche Düsternis. Und der Gedanke ließ ihn nicht in 
        Ruhe.
 
        Vielleicht gab es doch etwas nach dem Leben. Vielleicht wartete dort diese 
        lautlose Dunkelheit, diese Düsternis lautloser Stille, dieser unbewegliche 
        Zustand, in dem die Gedanken ins Unendliche schweifen, in die Ewigkeiten 
        ...Die Panik war nicht mehr unter Kontrolle zu halten. Wie eine Flut stieg 
        die Angst in dem Mann auf. Brennende, zermürbende Fragen strömten 
        aus seinem Unterbewusstsein hervor. Weshalb? Wie? Warum gerade ich? Ich 
        habe doch immer gedacht, dass ich unsterblich bin ... Was war geschehen? 
        An etwas konnte sich der Mann jedoch erinnern.
 
 Er erinnerte sich an den langen Abend des Wartens. An die gespannte Atmosphäre 
        und die wackere Zecherei in angenehmer, vertrauter Runde. Er erinnerte 
        sich an die Momente bebender Siegesfreude und an das tiefe Raunen zum 
        Schluss. Daran, dass die falsche Flagge am Siegesmast wehte. An das Leiserwerden 
        der Stimmen. An die Flüche. An die mit einem Beigeschmack von zähem 
        Kleister behaftete Enttäuschung. Dann folgte eine Serie von unklaren, 
        körnigen Bildern. Bartresen, Gesichter, zu laute Musik, belanglose 
        Gesprächsfetzen, zum Bestellen erhobene Finger, schrille Make-ups 
        im künstlichen Licht der Nacht, Lichtreflexe in den Spiegelgläsern 
        der Bierreklamen, diskrete Taxifahrer, freundliche Türsteher, weniger 
        freundliche Türsteher, Straßen, Terrassen, Türen, Türen, 
        Türen und Treppenstufen ... Am Ende war nur noch diese Dunkelheit. 
        Mehr nicht.
 
 Die Angst in seinem Inneren lähmte den Mann. Plötzlich war es 
        ihm ganz kalt. Da. Er streckte die Hand aus, etwas stieß gegen die 
        Finger. In dieser unendlichen, lautlosen Dunkelheit gab es doch noch etwas 
        ... Und die Zeit blieb für eine Sekunde stehen. Der Mann bekam etwas 
        zu fassen, etwas Hartes. Er bog es. Die Tür öffnete sich knarrend 
        und fahles Licht drang herein. Der Mann bekam ganz weiche Knie von dem 
        Gefühl der unendlichen Erleichterung, als er vom Klosett auf den 
        Korridor trat. Er fand am Türrahmen Halt und besah sich im Korridorspiegel. 
        Jussi Vares´ verschwitztes, rot glühendes Gesicht. Feuchte 
        Augen, in denen immer noch die existenzielle Angst des Menschen wohnte. 
        Augen, die den Tod gesehen hatten.
 
 Im selben Augenblick klingelte es fordernd an der Tür.
 
 
 Ausschnitt aus dem zweiten Kapitel
 
 Die letzten drei Jahre waren für Vares eine gute Zeit gewesen, eine 
        Zeit des ständigen Aufstiegs. Während die Rezession das Land 
        in die Knie gezwungen hatte, war es Vares gelungen, seinem Leben eine 
        völlig neue Richtung zu geben. Die muffigen Zweizimmer-Mietwohnungen, 
        der alte Schrottkäfer, das Aufsetzen von Testamenten und die nächtlichen 
        Schnüffeljobs gehörten der Vergangenheit an. Plötzlich 
        hatte er all das, was er in den euphorischen Jahren der wirtschaftlichen 
        Hochkonjunktur hatte entbehren müssen und was er halb verächtlich, 
        halb missgünstig vom Nebengleis aus hatte verfolgen dürfen. 
        Und wie so viele Menschen anfällig für die Verlockungen des 
        Konsums und alles Glänzende sind, hatte auch Vares sein neues Leben 
        zu schätzen gelernt. Anzüge für Dreitausend. Die wichtigsten 
        Kreditkarten in der Brieftasche. Ein brandneuer größerer Leasing-Mazda 
        in der Garage. Auf dem Bankkonto mehr als nur der ständig bis zum 
        äußersten Limit ausgeschöpfte Überziehungskredit. 
        Ein Anstieg auf der sozialen Wertskala. Edlere Schnäpse. Noch edlere 
        Frauen. Sogar Schulterklopfer. In diese Richtung hatte ihn das Leben in 
        den letzten drei Jahren geworfen.
 
 Und dennoch hatte Jussi Vares die ganze Zeit über irgendwo in seinem 
        Unterbewusstsein gespürt, dass er eines Morgens aus diesem Traum 
        erwachen würde. Und umso wahrscheinlicher war es, dass dieser Morgen 
        gerade jetzt gekommen war. An diesem elenden Mittwoch. Nach einer dreitägigen 
        schnapsvernebelten Umnachtung und einer todesangstgelblichen Düsternis. 
        Vares nahm noch einen Schluck Wasser. Der Geschmack brachte ihm den Vogel 
        in den Sinn, den er im Kühlschrank gefunden hatte. War es vielleicht 
        doch eine Krähe? Nein, Färbung und Größe stimmten 
        nicht. Es musste eine Dohle sein. Aber wie um Himmels Willen war sie in 
        den Miele hineingeflattert? Doch war das nicht eigentlich ganz egal?
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Vares hatte seit ewigen Zeiten, wohl seit zwei Jahren mehr keine dreitägige 
          Sumpftour unternommen. Er hatte diese chemischen Abtrennungen vom Alltag 
          schon gar nicht mehr vermisst. Aber aus alter Erinnerung wusste er doch, 
          was ihn jetzt erwartete. Während der folgenden drei Tage würde 
          alles in einer von der normalen Tagesordnung deutlich abweichenden Reihenfolge 
          eintreten. Alle Dinge, die sonst eine wichtige Rolle im Leben spielten, 
          schrumpften zu unbedeutenden Rosinen zusammen. Der aufs Trockene stiefelnde 
          Schluckspecht kringelte sich um sein kleines und zerbrechliches, die ganze 
          Welt fürchtendes Ich. Alles, was ihn umgab, schien jetzt nichtig 
          zu sein. Nichts hätte ihn weniger interessieren können, als 
          die Erhöhung der Kommunalabgabe um fünf Penni oder der Beschluss, 
          auf dem Grundstück der Turkuer Domkirche eine Parkgarage zu bauen. 
          ...
 ... Es war Jussi Vares immer bewusst gewesen, dass zu seinen eigenen Charakterschwächen 
          eine Art von Unbeständigkeit und eine ungehemmte Risikobereitschaft 
          gehörten, die sich zu einer allzu sorglosen Lebenseinstellung vereinten. 
          Er hatte sich immer schon so einen abgebrühten Typen wie Mikko Berg 
          als Partner gewünscht. Als Kompagnon für Jussi Vares eignete 
          sich ein Mann, der stets für ein Spielchen bereit war, immer aber 
          auf Sicherheit spielte, dabei jegliches Risiko vermied und wie ein trainierter 
          Minenhund Gefahren witterte. Vares erhob sich steif von seinem Stuhl, 
          stellte das Glas Wasser auf die Fensterbank und schritt unsicher wie ein 
          erledigter Mann mit geduckten Schultern den Parkettboden auf und ab.
 
 Diplombetriebswirt Mikko Eero Berg. Geboren 1956 in der Entbindungsanstalt 
          Heideken, wie es sich für einen waschechten Turkuer gehört. 
          Taufeintrag im Kirchenbuch der Domkirchengemeinde zu Turku. 1974 in der 
          Abiprüfung vier Mal die Bestnote. Ein Jahr später Wehrdienst 
          in der Flakkompanie und Besuch der Reserveoffiziersschule. Vier Jahre 
          Studium an der Wirtschaftsuniversität, also in Mindestzeit. Zwei 
          Jahre Businesspraxis und ein Arbeitsaufenthalt in Houston, Texas.
 
 Ein vorsichtiger Mann, der noch nie übers Ohr gehauen worden war.
 
 Und jetzt war er für immer fortgegangen. Ermordet. Wie, zum Teufel?!
 
 Danke an den Stegemann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.
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