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 Reichtum ist, wenn du über deine eigene Zeit herrschst
 
 Frage:
 Ahnten Sie, daß Ihre Bücher erfolgreich sein würden?
 
 Peter Høeg:
 Ich dachte, mein Buch wäre zu dick und zu kompliziert, deshalb 
          habe ich gar nicht versucht, einen Verleger zu finden. Aber mein kleiner 
          Bruder hatte das Manuskript eingereicht. Als ich das hörte, habe 
          ich es sofort zurückgeholt. Da stand ich mit dem ganzen Papier 
          auf der Straße in Kopenhagen und dachte: Was solls! Also 
          bin ich zu einem kleinen Verlag, der mir schon immer gefallen hatte, 
          und legte der Verlegerin das Papier auf den Tisch. Sie hat es über 
          Nacht gelesen und mir sofort einen Vertrag geschickt. Das war das einzige 
          Mal in meinem Leben, daß etwas so schnell und erfolgreich gelaufen 
          ist.
 
 Frage:
 Aber mittlerweile sind Sie mit sich zufrieden?
 
 Peter Høeg:
 Nein. Auch Smilla ist mir nicht gelungen. Als ich fertig war, dachte 
          ich: Mit Smilla als Notizbuch könnte ich ein gutes Buch schreiben! 
          Ich merke schon, daß ich besser werde. Aber ich muß noch 
          lernen, damit mein inneres Bild irgendwann mit dem Ergebnis übereinstimmt.
 
 
 Frage:Mit Smilla kam auch das Geld zu Ihnen zurück.
 
 Peter Høeg:
 Langsam, ja. Aber ich habe kein Gefühl dafür. Reichtum ist, 
          wenn du über deine eigene Zeit herrschst. Wir haben sehr wenig 
          Möbel, keinen Fernseher, und diesen Winter habe ich alle meine 
          Bücher weggegeben. Ich hatte vielleicht 2000 Bücher! Ich darf 
          gar nicht daran denken, wieviel ich arbeiten mußte, um mir die 
          Bücher leisten zu können. Aber diese Dinger haben mich immer 
          angestarrt, und als sie weg waren, gab es viel Platz in der Wohnung. 
          Das war ein schönes Gefühl!
 
 Frage:
 Smilla sagt: "Schnee und Eis sind mir lieber als die Liebe." 
          Außerdem ist sie eine starke, fast brutale Frau. Haben Sie Ihre 
          Schöpfung manchmal auch gefürchtet?
 
 Peter Høeg:
 In der dritten Welt und in der Arktis traf ich viele starke Frauen. 
          Sie waren auch zur physischen Gewalt fähig, wie man es einer Frau 
          in Europa nie zutrauen würde. In Smilla habe ich diese provozierende 
          Eigenschaft bewußt gestaltet. Aggression gehört zu den Grundlagen 
          des Menschen, man muß diese gefährliche Gegend künstlerisch 
          erforschen. Wenn man mit der Gewalt spielt, wird sie nicht Wirklichkeit. 
          Das ist ähnlich wie im Verhältnis von Spiritualität und 
          Erotik. Auf Grönland habe ich erfahren, daß man Erotik nicht 
          unbedingt ausleben muß. Sie ist auch als Energie, die man fühlt 
          und beobachtet, nützlich.
 
 Frage:
 Kennen Sie Menschen, die ein Gespür für Schnee, eine so starke, 
          unerklärliche Intuition haben wie Smilla?
 
 Peter Høeg:
 In Afrika sah ich Dinge, die wir mit unserer europäischen Erfahrung 
          nicht erklären können. Aber ein konkretes Vorbild für 
          Smilla gibt es nicht. Irgendwann während des Schreibens war sie 
          da. Keine Ahnung, woher sie kam! Übrigens ist Smilla ein Bild für 
          den künstlerischen Prozeß. Sie ist ein Jongleur, der seine 
          Bälle präpariert, seine Fähigkeiten trainiert, Bücher 
          übers Jonglieren liest und sich mental vorbereitet,. Wenn der Jongleur 
          auf der Bühne steht, fließt alles in einem einzigen Moment 
          zusammen. Seine Ganzheit wird gefordert, damit er erfolgreich ist. Smilla 
          muß das können, um zu überleben, und ein Künstler 
          muß es auch.
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |            Frage:Und auch Tork, der Super-Bösewicht in Ihrem Roman, kann das. Haben 
          Sie heimliche Sympathien für Ihn?
 
 Peter Høeg:
 Überhaupt nicht! Tork ist der reine Zynismus, sein Leben ist eine 
          Sehnsucht nach Kontrolle, nach Macht. Vor solchen Leuten - Wissenschaftlern 
          ohne Moral, Ingenieuren, die Waffen produzieren - wollte ich warnen.
 
 Frage:
 Wäre der Mord an Jesaja nicht geschehen, hätten die Leichenbeschauer, 
          Polizisten und Buchhhalterinnen Kopenhagens wohl keinen Finger für 
          Smilla gerührt.
 
 Peter Høeg:
 Als ich noch über das Buch nachdachte, wurde gerade meine erste 
          Tochter geboren. Damit kam eine große Liebe, aber auch eine große 
          Furcht in mein Leben. Diese Furcht, meine Tochter zu verlieren, war 
          ein wesentlicher Antrieb für das Buch.
 
 Frage:
 Haben Sie die Unmenge von Details wirklich genau recherchiert? Die Hauptsache 
          ist doch, es klingt echt. Tut es das nicht?
 
 Peter Høeg:
 Für mich schon. Aber vielleicht sollte ich meinen Onkel fragen. 
          Der war mal Kapitän.
 Weißt du, was mein Prinzip ist? Ein Lehrer an der Schauspielschule 
          sagte uns: Wann immer du einen besonderen Ausdruck auf dem Gesicht von 
          Robert de Niro oder sonst einem guten Schauspieler entdeckst, stiehl 
          in dir. Sie haben ihn auch nur gestohlen. Das ist wahr. Falsch ist der 
          Ruf nach Authentizität, nach Originalität. Musiker gehen viel 
          lockerer mit Themen um; Johann Sebastian Bach zum Beispiel hatte ein 
          sehr bewußtes Verhältnis zum Klischee. Man spielt ein Thema, 
          dann eine anderes, und am Ende kommt etwas Neues heraus. Wer sich nur 
          vor dem Original verneigt und nicht darauf aufbaut, verdrängt etwas 
          sehr Wichtiges.
 
 Frage:
 Aber in Ihren Büchern fließt nicht nur zusammen, was Sie 
          bisher erlebt haben?
 
 Peter Høeg:
 Ich bin Däne und Europäer, stehe also in einer bestimmten 
          Tradition. Aber beim Schreiben habe ich nie das Gefühl, etwas zu 
          wiederholen. Es entsteht erst in dem Moment, in dem ich es schrieb. 
          Dann ist es ganz frisch. Sonst könnte ich nicht schreiben.
 
 Auszüge aus einem Gespräch mit Christian 
      Lorenz für die Wochenpost vom 3. März 1994
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