Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
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Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
 
Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
Hier können Sie Probelesen in dem Buch der Autorin Anja Snellman.
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Sondereinband
510 Seiten
btb Verlag
Erscheinungsdatum:
2001
ISBN: 3442724716
Übersetzung:
Angela Plöger
Orginaltitel:
"Pelon maantiede"
Kurzbeschreibung

An einem Sommertag werden auf einer kleinen Insel vor Helsinki sechs Frauen tot aufgefunden. Wenig später entdecken Suchhunde die übel zugerichteten Leichen von sieben Männern, die auf der Insel begraben wurden. Das Land ist schockiert. Die Ermittlungen der Polizei gestalten sich als schwierig. Selbst ausländische Nachrichtensender berichten über die geheimnisvollen Vorgänge, die sich rund um das Mitternachtsinstitut, das nördlichste Institut für Frauenforschung, zugetragen haben. Doch den wahren Hintergrund der Todesfälle kennt nur eine. Sie überlebte, weil sie seelisch und körperlich auf Distanz gegangen war. Doch sie erinnert sich sehr gut - sowohl an den Kosmos der Angst, der ihr eigenes Leben bestimmte, als auch an den Kursus an der Universität, der ihrer aller Wut in Handlungsimpulse verwandeln sollte und in einer Katastrophe endete ... Ein Frauenkrimi, der in Skandinavien Furore machte und so spannend wie provozierend ist. Es handelt von einer kleinen Gruppe von Frauen, die sich an einem Institut für Frauenforschung zusammenfinden, um sich nicht nur von traditionellen Geschlechterrollen zu lösen, sondern der Gewalt gegen Frauen eine sehr konkrete Gewalt von Frauen entgegenzusetzen.

Weitere Informationen (Ext. Link)

Leseprobe

1

Am Tag des Propheten Elisa lege ich mich gegen Abend bäuchlings auf den Steinfußboden, die Arme seitlich ausgestreckt, entspannt. Ich habe das eng anliegende hautfarbene Glasperlenkleid an, dasselbe Abjektkleid, das jede von uns, eine nach der anderen, angezogen hat.
Auf dem Rücken des Kleides und vorn, unten am Saum, klebt getrocknetes Blut, das Blut einer jungen Frau, die, um den Heimweg von ihrem Polterabend abzukürzen, einen dunklen Park durchquerte. Die rostroten verblassten Schandflecke an dem Kleid sind wie psychedelischer Zierrat.
Maaru hat mir mit ihrer scharfen Chirurgenschere gerade die Haare abgeschnitten, und Riikka hat mir einen Kranz aus unscheinbaren weißen, aber berauschend duftenden Orchideenblüten aufgesetzt. Um den Hals ist mir eine Kamee an einem Samtband gelegt worden. Johanna und Kristiina haben mir die nackten Füße zu Drei-Zoll-Lilien gebunden. Das hat eine extreme Wirkung. Man hat es niemals als chinesische Folter bezeichnet - so wie das Ausreißen von Zähnen oder Nägeln. Man nannte es Rolle, die Rolle der Frau. Durch die Glaswände des Seerosenhauses sehe ich, wie die großen, an den Rändern leicht aufwärts gebogenen Schneeflocken herabschweben wie Konfetti in amerikanischen Filmen, wenn der frisch gewählte Senator im offenen Wagen winkend in die Stadt einzieht.
Für einen Augenblick bedeckt ein weißer Schleier das Glasdach des Seerosenhauses, schmilzt aber ebenso rasch, wie er herabgefallen ist.

Es ist Juni, der Abend des Tages des Propheten Elisa, und der Schnee ist ein großartiges Omen, wie Maaru findet.Die Frauen kommen ganz nahe heran, sie versammeln sich um mich, stehen auf meinen abgefallenen Locken und singen leise. Saaras klarer Sopran schwebt hoch über allen anderen.

Ihre blassblauen Kleider riechen nach Schweiß und etwas Strengem. An den Spitzen ihrer Stiefel mit den dicken Sohlen ist der Schmutz zu
einem grauen Puzzle getrocknet. Leena-Kaisa fasst als Erste nach mir.
Wir tragen dich auf unseren Armen, damit du dir den Fuß nicht an einem Stein verletzt. Du wirst über den Löwen und die Kreuzotter hinwegschreiten, du wirst den jungen Löwen und den alten Drachen niedertreten.

  Anja Snellman bei schwedenkrimi.de
Biografie
Buchvorstellungen
Leseprobe

Ich war mir nicht ganz sicher, wie das alles enden würde, aber andererseits hatte ich das Gefühl, dass mir nichts Böses geschehen könne.

2

Wer hätte geglaubt, dass sieben Frauen Finnland plötzlich auf die Weltkarte katapultieren würden.
In die Nachrichten von CBS, NBC und ABC, gleich nach den japanischen Finanzmärkten, der Rohstoffpreisentwicklung und den neuesten Konflikten im Nahen Osten, in Afrika und auf dem Balkan.

Time, Der Spiegel, Le Monde.

Bulletins, Satelliten, die Globe-Gobelins des World Wide Web.

The National Inquirer, Super Channel, Crime International.

Sie haben wahr und wahrhaftig die Nachrichtenschwelle überschritten.Die Massenmedien der Welt verbreiteten sieben ernste Frauengesichter, von denen kein einziges an Glenn Close, geschweige denn an Sharon Stone erinnerte.
Das kleine Land im Norden, früher bekannt für seine blauäugige Tapferkeit, die Sauna und blau schimmernde Seen, später für seine Selbstmorde, seine Mobiltelefone und seine Probleme mit der landwirtschaftlichenÜberproduktion, das sich soeben vertrauensvoll bei Europa untergehakt hatte.In einigen Medien draußen in der Welt vergaß man nicht, die letzten finnischen Präsidentschaftswahlen zu erwähnen, bei denen das Fünf-Millionen-Volk beinahe eine Frau in das Präsidentenamt gewählt hätte.
Wahlen, die nach Ansicht von Susan Sontag laut einem Artikel für die New York Review of Books wahrscheinlich sehr viel aufgestaute Energie
und Aggressionen bei den finnischen Frauen hinterlassen hatten.
Francesco Alberoni beeilte sich, in einem Interview für die Zeitung »Der Wiener« darauf hinzuweisen, dass das zu plötzlicher Berühmtheit gelangte nördlichste Frauenforschungsinstitut der Welt vom theoretischen Ansatz her auch zentrale Gedankengänge von ihm verwendet oder doch zumindest seine Kernterminologie übernommen habe. War doch die »depressive Überlastung«, die das Institut gerade bei jungen, gebildeten Frauen gegeben sah, einer von Alberonis Haupttermini in seinem Buch »Erotik« gewesen, das es im Handumdrehen geschafft hatte, zu einem europäischen Bestseller zu werden. Dem Wiener-Interview zufolge will Francesco Alberoni als Nächstes über den Feminismus und die Sehnsucht nach der großen Liebe schreiben.

Susan Sontag verwies in ihrem Artikel auf ihr Buch »Die Reise nach Hanoi«, das etwa zwei Jahrzehnte zuvor erschienen war. Auf dieser Reise waren Sontag die wahren Unterschiede zwischen den verschiedenen Generationen von Frauen erst so richtig aufgegangen. »Manche mussten
nach Hanoi fahren, um zu verstehen, was in New York passiert. Vielleicht müsste man jetzt nach Helsinki fahren, um zu verstehen, was in Hanoi passiert«, mutmaßte Sontag.
»Die Töchter und Enkelinnen jener Generation von Frauen, die man zur Prostitution gezwungen hatte, bauen sich jetzt eine Schwindel erregende Karriere nicht nur im eigenen Land, sondern auch in der internationalen Geschäftswelt auf«,
erklärte Sontag.
»Ihre Mütter und Großmütter, die nichts anderes gelernt hatten, als mit Geishakugeln zu trainieren, wurden in den siebziger Jahren auf die Herstellung von Pfeifenreinigern, Flaschen- und Toilettenbürsten umgeschult. Ich wage mir nicht vorzustellen, welche Vision sich hinter den umflorten Blicken dieser jungen Frauen verbirgt.«

»Wenn die Schüsse von Sarajewo, der ›Grund‹ für den ersten Weltkrieg, nicht gefallen wären, hätte es bald irgendein anderes Ereignis gegeben, das geeignet gewesen wäre, die ins Unerträgliche gewachsene Spannung zu lösen«, folgerte die holländische Historikerin und EU-Parlamentarierin Anneke van Maerlant in ihrer viel zitierten Rede vor dem Europaparlament in Straßburg und fuhr fort: »Das Phänomen ähnelt den Auslösern für eine Panik, und deshalb gilt dasselbe auch für eine drohende Panik und die Mittel, eine Unzufriedenheit abzustellen: Nur wenn man die primären Ursachen beseitigt, kann man eine schwelende Unzufriedenheit im Keim ersticken. Es nützt nichts, die sekundären Gründe zu beseitigen, wie das eingangs genannte Beispiel gezeigt hat, weil unbewusst doch nur nach einem anderen Reiz gesucht werden würde. Die primären Gründe sind psychologischer Natur und folglich weniger konkret als beispielsweise die zu Kriegszeiten auftretenden Schwierigkeiten mit Nahrungsmitteln, Unterbringung und Dienstleistungen oder Urlaub. Auch die Forderungen der gut ausgebildeten europäischen Frauen, die in den letzten Jahren eine Mischung aus Konkretem und Abstraktem waren, sind offensichtlich nicht ernst genug genommen worden. Es wurden vage Versprechungen gemacht und Hoffnungen geweckt. Die Entwicklung ist jedoch überall in Europa in entgegengesetzter Richtung zu dem verlaufen, was die Frauen erwartet hatten. Wenn ich daran denke, was in Finnland geschehen ist, dann hoffe ich, dass wir hier keinen Präzedenzfall haben. Mir fällt eine alte Faustregel aus der Armee ein, die davor warnt, Untergebenen wiederholt halbherzige Versprechungen zu machen. So etwas kann unabsehbare Folgen haben.«


Buchtipp
Camilla Läckberg - Die Eishexe: Kriminalroman (Ein Falck-Hedström-Krimi 10)

Mit Computeranimationen belebte Landkartenbilder aus Finnland: ein kornblumenäugiges Mädchen, das die rechte Hand (zum Schlag oder zum Gruß?) erhebt, blonde Zöpfe und breite Hüften, auf der Schürze viele dunkle, bläuliche Flecke; ich war wohl kaum die Einzige, die statt an tausend Seen an Blut dachte.
Danach auch einige psychohistorische Koordinaten. Die finnischen Männer und die Zähigkeit. The Brave Old Boys of Finland. Der Geist des Winterkrieges. Die Langstreckenläufer. Die Eishockeyspieler. Der glatzköpfige Präsident und die Pelzmützengesandtschaften aus dem Osten.
Jetzt also die Frauen. Die Frauen des Mitternachtsinstituts. Die Myzel-Frauen. Sieben blasse und unübersehbar ernste Frauengesichter. Johanna, Kristiina und Sari auf dem Bild mit Brille. Maaru mit schwarzer Augenklappe am Haaransatz, ihr Lieblingsband. Furious Feminists of Finland? Blonds Become Bold? Einige Schlagzeilen klangen nach Madonna.

In den von Chefredakteurinnen verantworteten Nachrichten wurde oft der Backlash erwähnt, dramatisch wie ein Krimineller, Mr. Backlash, der gefürchtete Terrorist, der Carlos des Feminismus, von dem man nie weiß, wann er das nächste Mal zuschlagen wird.

»Backlash kills? The Real Battle of 90's finally started in Finland?«, titelte die neu gestaltete Ms. breit.
Die dänische Psychiaterin Jenny Bredesen kommentierte in derselben Zeitung in einem Artikel unter der Überschrift »Dancing through the masculine minefield« den Vorfall aus Finnland als typische weibliche Frustration der neunziger Jahre, und auch sie suchte die Symbolik in den großen Meldungen der vorangegangenen Jahre: »Für die Frauen Finnlands, das mit wirtschaftlichen Problemen ringt, ist es weiterhin sehr schwer, auf den Gipfel der Macht zu gelangen, und, wie man aus dem erst kurze Zeit zurückliegenden Estonia-Unglück schließen kann, nahezu unmöglich, sich auch nur auf das Oberdeck eines untergehenden Schiffes zu retten. Trotz allem Gerede von der Gleichberechtigung ist der Widerspruch zwischen Erwartungen und Wirklichkeit der Frauen, zumal der jungen, gebildeten, weiterhin allzu groß. Und wie immer zu Zeiten hoher prinzipieller Affektbereitschaft kann das Missverständnis zwischen Reiz und Reaktion dramatisch anwachsen.«
»Gehen ins Gefängnis bald Frauen und Kinder zuerst?«, fragten kürzlich die führenden Kriminologen Europas auf ihrem Kongress in Berlin.
David James Smith beleuchtet in seinem Buch »The Sleep of Reason«, wie schwierig es ist, die Gewalttätigkeit und Kriminalität von Kindern zu erklären. Er behandelt darin einen Kindermord, der ganz England aufrüttelte und bei dem zwei zehnjährige Jungen ein zweijähriges Kind aus Liverpool entführten und später zu Tode quälten.

Auch in Norwegen, der Schweiz, Frankreich und Polen haben Kinder in den letzten Jahren grausame Tötungsdelikte sowie Misshandlungen begangen.

Die oben genannten englischen Jungen handelten vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit, Eheproblemen und Alkoholismus. Zu Hause sah man sich im Fernsehen stundenlang Gewaltfilme an, von denen einer immer grausamer war als der andere. Ein gemeinsames Familienfrühstück,
feste Zeiten für das Nachhausekommen oder Abendgebete gab es nicht. In der Schule fühlten sich die Jungen nicht wohl, sie wurden automatisch in Sonderschulklassen abgeschoben. Die Verhältnisse waren instabil, aber keineswegs außergewöhnlich.

Als man die Jungen vor Gericht führte, lutschten sie an Lollis und sagten, sie sehnten sich nach ihrer Mutter.

Warum erregt ein Mord, den eine Frau begangen hat, die Gemüter ebenso sehr wie ein von einem Kind begangener?
Smith verweist auf Rousseaus Erziehungsroman »Emile«; danach befindet sich der Verstand eines Kindes im Schlafzustand, und die Bosheit liegt in der Unvernunft, im Fehlen jeglicher Vernunft.
Zu Zeiten Rousseaus waren Frauen und Kinder unentwickelte Kreaturen von ein und derselben Sorte. Aber die zunehmende Aggressivität und Kriminalität von Frauen - auch die Tendenz zu äußerst gewalttätiger Selbstverteidigung bei Überfällen - sind nicht mehr mit dem Fehlen von Verstand zu erklären. Vielleicht sogar eher umgekehrt?

Die englische Kriminologin Jill Radford, die Finnland aus eigener Anschauung kennt, erinnerte die finnischen Wissenschaftler daran, dass der uralte Mythos von der Sexualität der Frau als Wurzel allen Übels, der in unserer Kultur latent schwelende Frauenhass allmählich die Aufarbeitung der Verbrechen bestimmt, an denen Frauen - sei es als Opfer, sei es als Täterinnen - beteiligt sind.

Eine englische Bibliothekarin, die von ihrem früheren Freund umgebracht wurde, galt zuletzt als nahezu selbst Schuld an ihrem Tod - nachdem
ihr Freund seine Erinnerungen an ihre gemeinsamen Liebesnächte an die Presse weitergegeben hatte. An Stelle von sachlichen Analysen des Tötungsdelikts waren es die facettenreichen Sexspiele der Bibliothekarin, die monatelang die Schlagzeilen der englischen Zeitungen beherrschten.

3

Die Zeitungen in Finnland erzielten Spitzenumsätze damit, dass sie sich darin überboten, die persönlichen Verhältnisse der Institutsfrauen zu sezieren. Klassenfotos, Beurteilungen ihrer Lehrer, Erinnerungen von Freunden, laienpsychologische Profile. (Von den Eltern ist Kristiina Kukkonens Mutter die Einzige, die sich öffentlich an ihre Tochter erinnert und herzige Fotos ihres Kindes aus dem Familienalbum an die Öffentlichkeit gibt.)

Spitzensachverständige verschiedenster Fachgebiete erörterten im Fernsehen in Podiumsgesprächen die Erziehung der »postindustriellen Mädchen«, zum x-ten Male die Gewaltfilme im Fernsehen sowie die Auswirkungen des Niedergangs eines europäischen Wohlfahrtsstaats auf junge, gebildete Frauen.
In mancherlei Hinsicht kam es so, wie Jill Radford es prophezeit hatte. Die patriarchalische Psychomafia, um einen Terminus von Maaru zu gebrauchen, nahm begierig die Vaterbeziehungen, die Mutterbeziehungen, mögliche Fälle von Inzest, die Männerbeziehungen, die Besuche beim Gynäkologen und die Aborte der Frauen des Mitternachtsinstituts unter die Lupe.
Über die persönlichen Verhältnisse der Männer - das Wort Opfer wurde durchweg vermieden - machte man sich in Finnland deutlich weniger
Gedanken als anderswo, obwohl es offenkundig war, dass »sie alle in Bezug auf die Frauen und die Sexualität einen kongruenten Hintergrund
hatten«, wie der Pate aller Analytiker es taktvoll formulierte.

Die Neugier - und der Unternehmungsgeist - des breiten finnischen Publikums nahm im Zusammenhang mit »den Morden der Frauenwoche« neue, überraschende Formen an.
Viele Helsinkier Wassertaxi-Unternehmen hatten die Idee, in das Angebot ihrer Sommertouren auch die Altstadtbucht und Lammassaari, die Schafsinsel, aufzunehmen, die der Abstinenzlerverein »Morgenröte« im Jahr 1904 von der Witwe Lybeck als Erholungsgelände angemietet hatte, obwohl man vom Wasser aus vom Hauptgebäude der Insel, dem Nordlandhaus, und erst recht vom »Haus der Müden Frauen« lediglich ein hinter alten Bäumen hervorschimmerndes Stückchen Dach und den Glockenturm sieht.

Die sieben Hektar große, dicht bewaldete Insel mitten in Helsinki erlebte nach den Ereignissen um das Mitternachtsinstitut ein so heftiges Comeback, dass Naturschützer schließlich die Scharen der Neugierigen von dem Langholzsteg, der durch den Schilfgürtel auf die unter Naturschutz stehende Insel führt, fern halten mussten. Der reiche Vogelbestand der Altstadtbucht wurde von den Wochenendausflügen der Massen nachhaltig gestört.
Auch ich selbst war - die dunkle Brille fest auf der Nase, obwohl meine Fotos auf Anweisung von Kommissar Harakka nirgendwo veröffentlicht
worden waren - bei einer der ersten geführten Touren mit auf der Insel.

Damals war erst knapp ein Jahr nach unserer letzten gemeinsamen Mahlzeit vergangen; eine gute Frage, warum ich mir überhaupt die Geschichte der Insel und der Arbeitervereinigung anhören ging und im Kielwasser der neugierigen Touristengruppe die Höfe und Ufer kreuz und quer durchwanderte.

Während ich über das dicke Wurzelwerk sprang, erinnerte ich mich daran, wie unsere Insel vor einem Jahr aussah, als wir mitten in der Nacht
im Gänsemarsch von der Pornaistenhalbinsel aus über den Langholzsteg gingen, vorneweg Johanna mit der Taschenlampe, hinter mir Maaru, die leise Cindy Lauper summte, dann plötzlich das große gelbe Schild am Ende des Langholzstegs: Abweichen von den markierten Wegen streng verboten!

Die flachsköpfige Archivarin der Arbeitervereinigung führte die Neugierigen von einer Markierung zur nächsten über die Schafsinsel und erzählte energisch, an welcher Stelle der Insel sich zu Beginn des Jahrhunderts die Ställe für Pferde und Kühe sowie die Pferdeweiden befunden hatten, wo die Riesenschaukel, die Krickettbahnen und der Badestrand gewesen waren, wann die Glocken im Turm geläutet wurden und welche Theaterstücke die Ausstellungsgesellschaft Schafsinsel aufführte. Warum das kleinere Haus tatsächlich Ruhestätte, d.h. Haus der Müden Frauen, hieß. Und warum an der Tür eines verkommenen Zimmers geschrieben stand: »Die Schweigsamen«.

Nein, einen anderen Weg auf die Insel gibt es nicht, und auch der Pfad durch die Schilfgürtel steht im Frühjahr und im Herbst unter Wasser.
Vierbeinige Freunde dürfen nicht in das Naturschutzgebiet mitgebracht werden, die Gehilfen der Polizisten waren seit Jahren die ersten Hunde
auf der Insel, erläuterte die Archivarin. Zu Beginn des Jahrhunderts wurde für die Schafsinsel eine Dampfschifffahrtsgesellschaft gegründet, deren Schiff namens »Morgenröte« dienstags und donnerstags die Genossen gegen eine Gebühr von zehn Penni vom Kaisaniemi-Ufer zum Südanleger der Sommerkolonie auf die Insel brachte; das Mitgliedsbuch mit dem bezahlten Beitrag musste man bei sich haben.

Lächeln. Überraschende Ausblicke auf die Hauptstadt, tatsächlich. Man denke. Mitten im Bekannten, und doch: ein ganz fremder Blickwinkel.

Danke an den btb/Goldmann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.
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