| So hart wie es die Realität erfordert "Blasse Engel" von Anders Roslund und Börge Hellström
Der Ex-Fernsehjournalist Roslund und der  Ex-Häftling Hellström schreiben keine Philosophie, kein Feel-Good- und kein  Puzzle-Krimi, sondern einen Roman, so hart an der Wirklichkeit dran, dass es  selbst beim Lesen schmerzt.
 Ende letzten Jahres erschien Helene  Turstens „Die Tote im Keller“, in dem es um Zwangsprostitution und  Menschenhandel geht, denn bei besagter Toten handelt es sich um eine blutjunge,  minderjährige Sexsklavin und Zwangsprostituierte, die aus dem Baltikum entführt  und in Schweden zum Sex gezwungen wurde. Bereits im Sommer war „Blasse Engel“  des ungleichen Autorenduos Roslund und Hellström erschienen, das sich ebenfalls  dem Thema Zwangsprostitution widmet. Während Tursten jedoch als etablierte  Autorin Aufmerksamkeit gewiss war, sorgten der Ex-Fernsehjournalist Roslund und  der Ex-Häftling Börge Hellström erstmals im November in Hamburg beim  Krimifestival für Furore. Zu Recht. Sprachlich brutaler und in der  geschilderten Realität schonungsloser und näher dran als ihre  Schriftstellerkollegin Tursten, haben Roslund und Hellström ihre Nische im heiß  umkämpften schwedischen Krimimarkt gefunden und überzeugen durch eine  gelungene, spannende Mischung aus Fakten, Fiktion und dem Insider-Wissen des  ehemaligen Strafgefangenen Hellström. Wem Roslund und Hellströms erster Krimi  „Die Bestie“ nicht gefallen, wer die Sprache als zu vulgär empfunden hat, dem  wird auch „Blasse Engel“ nicht gefallen. Wer aber bereit ist, sich auf eine  neue Sichtweise einzulassen und die sicheren, elaborierten Pfade etablierter  Autoren zu verlassen und auf neuen Wegen Abseitiges zu entdecken, der wird  belohnt.
 Zwischen Wahrheit und Lüge Roslund und Hellström erzählen in  „Blasse Engel“ – anders als Helene Tursten in „Die Tote im Keller“ – konsequent  aus der Sicht der beiden Zwangsprostituierten Lydia und Alena. Lydia, die junge  Litauerin, muss als Zwangsprostituierte täglich zwölf Freier ertragen. Nie  weniger. Drei Jahre lang. Jeden Tag. Als „Dimitri Scheißzuhälter“ sie mit 35  Peitschenhieben misshandelt, ruft das endlich die Polizei auf den Plan.  Sie  bringt Lydia ins Krankenhaus, wo sie es schafft, mithilfe ihrer Freundin und  „Kollegin“ Alena, der in dem allgemeinen Tumult die Flucht gelungen war, bis in  die Pathologie vorzudringen und fünf Geiseln zu nehmen. Sie verlangt, dass der  Polizist Bengt Nordwall, gleichzeitig bester Freund des ermittelnden  Roslund-und-Hellström-Kommissars Ewert Grens, in die Pathologie kommt. Dort  erschießt sie erst ihn, dann sich selbst. Lydia hinterlässt ein Video, das  Bengt Nordwall in Sachen Zwangsprostitution und Menschenhandel schwer belastet.  Ewert, hin- und hergerissen zwischen dem, was Recht und Gesetz verlangen und  dem Wunsch, der Witwe seines Freundes die Wahrheit über ihren toten Ehemann zu  ersparen, lässt das Video verschwinden und nimmt den Frauen damit ein weiteres  Mal ihr Recht auf Selbstbehauptung und das, ihre Geschichte zu erzählen.  Scham und SchandeDie schmerzhafte Suche nach der Wahrheit und die  ebenso schmerzhafte Wahl zwischen einer Lüge aus edlen Motiven und der  Wahrheit, die anderen zu ihrem Recht verhelfen würde, Platz einzunehmen (Blasse Engel, S. 226, S. 358) und gesehen zu werden (Blasse Engel, S.  224), spielen eine zentrale Rolle und konfrontieren Ewert Grens und die Leser  mit einem moralischen Dilemma, auf das es keine einfache Antwort gibt, denn  Roslund und Hellström präsentieren keine Lösung, sondern fordern heraus,  Stellung zu beziehen. Daneben geht es vor allem um die Frage, was die  TäterInnen antreibt. In „Blasse Engel“ sind es Gefühle wie Scham und Schande,  die Auslöser für kriminelle Taten werden: „Die  Schande treibt sie alle an. Wir sollten keine Verbrecher jagen. Wir sollten die  Schande jagen, die die Verbrecher antreibt.“ (Blasse Engel, S. 156) So wird  deutlich, dass jeder sein Päckchen zu  tragen hat (Blasse Engel, S.156). Die einen blockieren ihre Gefühle der  Scham und Schande mit zu viel Arbeit, die anderen mit Drogen und Alkohol. Am  Ende aber müssen alle sich für die Wahrheit oder eine andere (Blasse  Engel, S.295), mit der die Lügen kommen (Blasse Engel, S. 295), entscheiden. Und  nicht immer sind die Dinge so, wie sie scheinen. „Blasse Engel“ ist ein hartes  Buch, das noch lange, nachdem die letzte Seite gelesen ist, nachhallt. 
                  
 
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 Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
 © März 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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