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Ich stocherte in meinem Essen herum, während er seine Portion 
        mit gutem Appetit verputzte. Es schmeckte mir nicht und das lag nicht 
        am fetten Kochschinken oder der vielen Mayonnaise im Kartoffelsalat."Totschlagen?", brummte ich. "Übertreibst du da nicht 
        ein bisschen?"
 "Natürlich kann ich nicht genau sagen, wie lange es dauert, 
        bis ich an den Schlägen und Tritten verrecke, aber ich bin kein junger 
        Mann mehr und auch nicht besonders trainiert. Erschießen werden 
        sie mich nicht, denn sie wollen erst noch Namen aus mir herauspressen. 
        Ich werde standhalten, so lange es geht, aber der Körper hat seine 
        Grenzen. In fünfzehn Stunden, das ist, glaube ich, eine ganz realistische 
        Schätzung. Der Kartoffelsalat schmeckt superb, wenn man nachsalzt."
 Ich schwieg eine Weile, doch beim Kaffee stellte ich die natürliche 
        Frage: "Warum wurdest du ausgewiesen, wenn dich bei der Ankunft in 
        Lagos die Folter erwartet?"
 Mezinka bediente sich aus der zweiten Champagnerflasche und atmete den 
        Duft ein. Ich machte mir nicht viel aus dem Kribbelwasser. Wenn man nur 
        wie ein Biertrinker verdient, sollte man Zunge und Gaumen nicht unnötig 
        verwöhnen.
 "Formell war es kein Fehler mich auszuweisen. Ich hatte keinerlei 
        Papiere vorzuweisen und ich heiße auch nicht Dayo Mezinka. Die wahren 
        Gründe, warum ich als Flüchtling anerkannt werden wollte, konnte 
        ich nicht nennen. Hätte ich meinen richtigen Namen genannt, wären 
        einige meiner Freunde in Lagos verhaftet und misshandelt worden. Ich täuschte 
        einen Selbstmord vor und hoffte, man würde mir glauben. Doch als 
        ich erklärte, dass mich in Lagos der sichere Tod erwarte, wenn man 
        mich zurückschicken würde, glaubte man mir nicht. Warum auch? 
        Ich bin ja nur ein schwarzer Mann, der nicht einmal mit den Augen rollen 
        kann."
 Wie verbittert musste er sein? Wenn er die Wahrheit sagte, hatte er auch 
        allen Grund dazu. Nicht einmal das Mineralwasser schmeckte mir noch. In 
        meiner so genannten Karriere hatte ich schon oft diese Ohnmacht gespürt, 
        wenn ich Opfern von Unterdrückung und Unrecht begegnete und ihnen 
        nicht helfen konnte. Dieses Gefühl beherrschte mich auch jetzt. Neben 
        einem Mann zu sitzen, der einem sympathisch war, von dem man aber wusste, 
        dass er eines gewaltsamen Todes sterben würde - das ließ mich 
        nicht kalt.
 "Was hast du denn getan, dass dich ein solches Schicksal erwartet?", 
        fragte ich. "Wie viel weißt du über Nigeria und die politische Situation 
        im Land?"
 "Ich habe mir einiges durchgelesen."
 "Vor einiger Zeit wurde man im Westen auf mein Heimatland aufmerksam, 
        als ein bekannter Regimekritiker und Schriftsteller namens Ken Saro-Wiwa 
        zusammen mit acht anderen Oppositionellen gehenkt wurde. Vor der Hinrichtung 
        kam es zu einer Welle von Protesten in der wunderbaren, weißen zivilisierten 
        Welt. Viele Länder drohten mit Boykott und beriefen ihre Botschafter 
        ab. Trotzdem wurden die neun umgebracht. Unseren Diktator interessiert 
        nicht, was die Welt meint und denkt. Was spielten nun diese neun für 
        eine Rolle, wo doch schon so viele andere gehenkt worden waren, die Widerstand 
        geleistet hatten? Was weißt du über General Sani Abacha?"
 "Das ist der Führer der Militärjunta, der die Macht übernommen 
        hat."
 Mezinka winkte der Stewardess und bestellte eine weitere Flasche Schampus. 
        Da ich nicht in Lebensgefahr schwebte, begnügte ich mich weiterhin 
        mit Wasser.
 "Abacha ist einer der brutalsten Diktatoren, die Afrika je gehabt 
        hat, und wir haben schon viele kennen gelernt. Er gibt sich gar keine 
        Mühe, sich zu verstellen. Idi Amin spielte damals Ziehharmonika zwischen 
        den Massenmorden oder ließ sich mit spielenden Kindern fotografieren. 
        Abacha bleibt in seinem Bunker und befiehlt von dort Unterdrückung, 
        Folter und Hinrichtungen. Trotz allem hat Nigeria demokratische Traditionen 
        und die Menschen wünschen sich ein anderes Leben, aber für eine 
        gewisse Zeit kann man ein Land mit Terror und Waffen in Schach halten. 
        Als die neun öffentlich gehenkt wurden, ließ Abacha am selben 
        Abend ein Länderspiel im Fußball zwischen Nigeria und Usbekistan 
        übertragen. Die Leute wählten den Fußball. Keiner wagt 
        es mehr, seine Empörung zu zeigen, denn der General lockt seine Feinde 
        gern zum Kampf aufs offene Feld. Er verrät aber nicht, dass er das 
        Gelände, was er dem Gegner zugesteht, vorher mit Fallgruben versehen 
        hat."
 "Hast du der heimlichen Opposition angehört?"
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   "Ja. Wenn ich nicht wüsste, dass mein Leben bald zu Ende ist, 
          würde ich nicht darüber sprechen, aber nun ist alles egal. Ich 
          bin kein Journalist, aber ich kann schreiben. Meine Freunde und ich produzierten 
          eine Zeitung, in der die Wahrheit gedruckt wurde. Wir verteilten sie in 
          den größeren Städten. Wir hielten uns für clever, 
          aber wir waren blauäugig wie Kinder. Sie schnappten zwei aus unserer 
          Gruppe; ein Sympathisant verriet uns, dass einer nicht standgehalten und 
          geredet hatte. Mein Name war genannt worden. Wir besorgten uns eine Leiche, 
          versahen sie mit meinen Kleidern und meinen Papieren und warfen sie in 
          den Niger. Dann wurde ich aus dem Land geschmuggelt und konnte nach Schweden 
          fliehen, wo wir Freunde haben."Danke an den KBV Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis."In dem Material, das ich gelesen habe, stand, dass die Presse in 
          Nigeria relativ frei berichten kann."
 Er schnaufte wütend. "Das war einmal. Frei berichten darf, wer 
          dem Diktator schmeichelt."
 "Du kehrst jetzt als Dayo Mezinka in deine Heimat zurück. So 
          steht es jedenfalls in den Papieren, die in Schweden ausgestellt wurden. 
          Kannst du nicht in Lagos untertauchen?"
 Er trank sein Glas aus und leckte sich die Lippen, um keinen Tropfen zu 
          vergeuden. "Für euch Weiße sehen wir alle gleich aus. 
          Aber wir sind verschieden und erkennen einander. Mein Steckbrief hängt 
          in jeder Grenzstation und die Wachhabenden müssen sich bei Dienstbeginn 
          die Gesichter aller Gesuchten einprägen. Selbst wenn ich mich als 
          der Prinz von Stockholm ausgeben würde, gäbe es kein Pardon."
 Um mir zu zeigen, dass er mit seinen Gedanken allein sein wollte, nahm 
          er das Bordmagazin der Fluggesellschaft, blätterte darin und entschied 
          sich für einen Artikel über die Weinlese in Frankreich. Doch 
          ich merkte, dass er nicht bei der Sache war. Was ging in ihm vor? Ich 
          an seiner Stelle hätte vor Angst geschlottert.
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