Wenn man in Lexika unter dem Begriff  "Thriller" nachschlägt erhält man meistens eine kurze prägnante  Begriffsdeutung: "Film, Roman o.ä., der Spannung und Nervenkitzel  erzeugt". Aber wodurch wird diese Spannung erzeugt? Welche Mechanismen  führen dazu, dass wir einen guten Thriller nicht aus der Hand legen können, bis  wir ihn gelesen haben? Olav Njølstad hat mit "Die Oslo-Connection"  einen politischen Thriller geschrieben, an dem sich der Aufbau eines Thrillers  sehr gut nachweisen läßt.
          
          Njølstad hat vier Handlungsstränge in seinem  Thriller verwoben, die jeweils mit vier Hauptpersonen versehen sind. Er bildet  dabei ein Amalgam von Rätsel und Gefahr, wobei die Unübersichtlichkeit einer  Gefahr wichtiger ist, als die Größe. Der Leser darf den Verdacht nicht  loswerden, dass er die Gefahr unter- oder überschätzt. In "Oslo-Connection"  arbeitet Njølstad auch sehr stark mit dem Motiv des Täuschens und  Getäuschtwerdens, mit Charaden und Vexierbildern.
          
          Der Thriller beginnt damit, dass ein toter Fischer  am Strand in der West-Finnmark gefunden wird. Er wird mit einer Schusswunde im  Nacken aus dem Wasser gefischt. Bei ihm wird ein Kästchen mit Plutonium  gefunden. Die andere Merkwürdigkeit ist, dass er keine Stiefel trägt. Eva  Tamber, von der Abteilung "Prolif" bei der PST, wird mit dem Fall  betraut. Der zweite Handlungsstrang wird von der Ärztin Ulla Abildsø getragen.  Diese ist auf dem Weg nach Oslo, um einem Mysterium auf den Grund zu gehen. Es  geht um den viel zu frühen Tod ihres Vaters und zweier naher Verwandter Ende  der Siebziger. Die drei Männer waren im Laufe von nur anderthalb Jahren aus dem  Leben gerissen worden. Die Diagnose bei allen lautete: Krebs -  Schilddrüsenkrebs. Ulla vermutet einen Zusammenhang zwischen den Atombombentests  der Russen, die damals in den fünfziger und sechziger Jahre stattgefunden haben  und der Erkrankung der drei Männer. Deshalb fliegt sie nach Oslo, um Recherchen  durchzuführen. Zur gleichen Zeit erhält Jørgen Hartmann, Polizeikommissar beim polizeilichen  Sicherheitsdienst (PST) und Leibwächter des norwegischen Außenministers Bremer,  den Auftrag, den Besuch des neugewählten Präsidenten der Palästinenser Muhammad  Mustafa, sicherheitstechnisch vorzubereiten. Und, im fernen Israel, bekommt der  Norweger und Atomwissenschaftler Fritz Emil Werner ein neues Herz  transplantiert.
          
          
          Diese vier Erzählstränge, mit ihren vier  Protagonisten, werden nun nach allen Regeln der Thriller-Kunst miteinander  verwoben. Dazu wird alles aufgeboten, was einen guten Thriller ausmacht:  zwielichtige Personen, Behörden, Geheimdienste, Spionage und Agenten. Hinzu  kommt der Besuch eines ausländischen Staatsmannes. Dieser Besuch ist fest  terminiert und der Ablauf genau festgelegt. Unter anderem ist auch ein Besuch  in einer norwegischen Forschungsanstalt geplant. Auf diesen Ort und auf diesen  Zeitpunkt steuert der Thriller hin. Und für die Spannung eines Thrillers  bedeutet dies, dass alle Handlungsstränge auf diesen einen Zeitpunkt zusteuern.  Sich auf diesen Punkt der Handlung fixieren.
          
          Zufälle, Intrigen, Täuschungen und falsches Spiel  beherrschen die Handlung. Im Thriller kann die Flüchtigkeit wie die  Reproduzierbarkeit eines Anblicks oder einer Äußerung eine Lage  unübersichtlicher machen. Die Oberfläche, die manchmal das Wesen offenbart,  verbirgt es auch. Oft fehlt einem Wissen, der sinnlich fassbare Beweis,  umgekehrt kann das Sinnfällige verwirrend, vieldeutig, unbegreiflich sein. Oder  es gerät gar das, was einer weiß, in direktem Widerspruch zum Zeugnis seiner  Sinne. Dann kann sich bald das Wissen, bald der Augenschein als falsch herausstellen.  So oder ähnlich sieht sie aus, die Störung im Verhältnis von Wahrnehmung und  Verstand, die in den Thriller-Genres die dargestellten Personen wie den Leser  in Atem hält.
          
          Aber es taugt nicht jeder Zufall, sondern nur der  verstörende oder tückische, der die Frage, ob nicht eine höhere Bosheit den  Lauf der Dinge lenke, sogar einem frommen Gemüt nahe legt. Es geht dem  Thriller-Genre, auch in "Oslo-Connection", eher um die Möglichkeiten  des Irrtums und des Betrugs, der Einschüchterung und der Entlarvung, die sich  auftun, wenn Abwesendes und Vergangenes sinnlich vergegenwärtigt wird. Wenn in der  Gegenwart zwischen vorgefundener und simulierter Wirklichkeit nicht  unterschieden werden kann, wenn alles was gesprochen oder getan wird falsch  sein kann oder betrügerisch ist. Wenn man niemand vertrauen kann nur noch sich  selbst. In den Verdacht, irreführend, verräterisch oder sonst wie gefährlich zu  sein, geraten in einem Thriller natürlich nicht nur technisch manipulierbare,  sondern schlechthin alle Äußerungen: die mündlichen und die schriftlichen.
          
          Das Verhältnis von Sinneswahrnehmungen und Verstand,  deren Zusammenarbeit erforderlich ist, damit wir uns in der Welt und in  wechselnden Lebenslagen orientieren können, ist im Thriller gestört. Ohne den  Orientierungsverlust, den eine solche Störung mit sich führt, würde dem  Ordnungsbruch, den ein Thriller zum Thema hat, der Thrill fehlen. Und von der  Art, wie die uns zur Identifikation einladende Person oder Personengruppe eines  Thrillers auf diesen Verlust reagiert, hängt es dann ab, welches Aroma der  Angst und das uns von ihr bereitete Vergnügen annehmen. Vom hie und da  aufkeimenden Verdacht, daß Verschwörungen gegen unsere individuelle oder  kollektive Sicherheit im Gange sind; und von dem mit Neugier und Hoffnung  vermischten und deshalb gut verträglichen Entsetzen in unserer Reaktion auf die  von der Wissenschaft und Technik entdeckten und bewirkten Schrecken und Wunder  lebt der Thriller. In "Oslo-Connection" ist es das Thema des  Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern und die Angst vor der Atomwaffe,  die den Nahostkonflikt unkontrollierbar machen würde.
          
          In dem Thriller von Olaf Njølstad wird nun eine  großangelegte Charade gezeichnet, dessen Ziel es ist, die Palästinenser bloß zu  stellen, zu zeigen, dass sie gewillt sind, ihre eigene Atombombe zu bauen. Agenten  kommen zum Einsatz und eine zwielichtige Gruppe innerhalb des israelischen Geheimdienstes  zieht die Fäden. Agenten- und Spionagegenres -   hier spüren wir einerseits etwas vom Schock der Entdeckung, dass ein  Killer unbekannt in den besten Kreisen verkehrt oder dass mitten im friedlichen  Alltag Agenten einen der Öffentlichkeit verborgenen blutigen Krieg austragen.  Dass es Menschen gibt, die eine Politik mit anderen Mitteln machen, von der die  "normale" Politik nichts weiß und dass die Politik nicht nur, wie allgemein  bekannt, ein Sündenbabel ist, sondern ein Asphaltdschungel mit mörderischen  Bestien. Andererseits überträgt sich auf uns, wenn ein Mörder überführt oder  ein Spion enttarnt wird, das Jagdfieber des Detektivs oder des Agenten, aus  dessen Blickwinkel wir verfolgen, wie er im Labyrinth der Spionage oder im  Dunstkreis des Verbrechens die Lösung des gefahrvollen Rätsels aufspürt. Es ist  ein Spiel, ein tödliches Spiel, in dem man nicht weiß, wer Freund und wer Feind ist.
          
                  
                  
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Prinzipiell muß die „Störung“ im Thriller nach  Maßgabe der etablierten Genrekonventionen behebbar sein, denn das Rätselhafte  an den zu bestehenden Gefahren ist stets auf eine raffiniert bewerkstelligte  Täuschung oder auf eine unvollständige Kenntnis von Personen und Verhältnissen  oder auf vom Zufall verursachte Verwicklungen zurückzuführen. Es kann aber auch  sein, dass sie am Ende der Geschichte faktisch nicht behoben ist. Aber  normalerweise erzählt der Thriller vom Versuch – in den meisten Fällen von dem  erfolgreichen Versuch -, einen erschütterten Normalzustand wiederherzustellen. So auch im Thriller von Olav Njølstad. Mit  "Oslo-Connection" hat er einen Thriller geschrieben, dessen Handlung  weit in den fünfziger Jahre beginnt und der ein großes politisches Thema, den  Nahostkonflikt, in eine packende vielschichtige Handlung packt. Ein  raffinierter Plot, der bis zum Ende durchgehalten wird, sorgt für Spannung. Und  der Roman zeigt auf, was Vergangenheit und Gegenwart gemeinsam haben können -  die Zukunft. Und er zeigt, um was es eigentlich geht. Es geht bei dem Ganzen um  den Wahnsinn auf dieser Erde. Um den politischen Wahnsinn und nicht um unseren  Glauben oder Unglauben in die Herrschenden dieser Welt.
          
          
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© September 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien