Wie aus Gentlemen Gangster wurden
Die beiden Kultromane des Schweden Klas Östergren laden auf knapp 1000  Seiten zu einem ebenso unterhaltsamen wie ausschweifenden und mit großer Lust  am Fabulieren geschriebenen Spaziergang durch 45 Jahre Geschichte ein – Ein  bisschen Sex’n Crime gibt’s gratis dazu
Wiewohl „Gentlemen“ und „Gangster“ eine heikle  politische Affäre, ihre Vertuschung sowie das spurlose Verschwinden eines ihrer  Protagonisten zugrunde liegen, sind die beiden Romane – in Schweden längst  Klassiker – nichts für Krimipuristen. Denn Klas Östergren dient dies nur als  Startpunkt für einen unterhaltsamen, aber auch ausschweifenden Spaziergang  durch 45 Jahre schwedische und europäische Geschichte. Das Spiel um Wahrheit  und Fiktion, das der Autor dabei betreibt, ist vor allem literarisch spannend.  Doch es lohnt sich, dem Ich-Erzähler und Autor dabei auf knapp 1000 Seiten zu  folgen, entsteht bei dieser eigenwilligen Art der Geschichtserzählung doch ein  ganz eigenes literarisches Universum, das das 20. und 21. Jahrhundert gewitzt  zueinander in Beziehung setzt.
Klas Östergren ist Schwedens Kultautor Nummer eins. Zu  verdanken hat er seinen Status als „bester Autor Schwedens“ (Dagens Nyheter)  seinem 1980 erschienenen Roman „Gentlemen“.
Der Hintergrund: Die tabuisierte Kooperation Schwedens mit  Nazi-Deutschland
In diesem Generationenroman begegnet das Erzähler-Ich, das  wie der Autor den Namen Klas Östergren trägt, den Brüdern Henry und Leo Morgan  und wird fortan in die später sogenannte Hogarth-Affäre hineingezogen. Hierbei  geht es um Schwedens wenig rühmliche und wenig erwähnte, um nicht zu sagen  totgeschwiegene und tabuisierte, Verstrickung in Waffengeschäfte mit  Nazi-Deutschland und andere „Gefälligkeiten“ gegenüber den Nazis während des  Zweiten Weltkrieges. In diesem Zusammenhang verschwindet der charismatische  Mythomane, Boxer, Pianist und Lebenskünstler Henry Morgan, in dessen mondäner  Wohnung der mittellose, ausgeraubte, junge Autor Unterschlupf gefunden hatte,  plötzlich spurlos. Klas bleibt ebenso ratlos zurück wie Henrys Geliebte Maud,  die Ehefrau des dubiosen Wirtschaftsmagnaten Wilhelm Sterner, der ebenfalls in  die Hogarth-Affäre verwickelt ist. Um nicht wahnsinnig zu werden, beginnt Klas  schließlich, die ungleiche und unglaubliche Geschichte der Brüder Leo – ein  lebensunfähiger, sensibler Poet – und Henry Morgan, dem Mythomanen und  Geschichtenerzähler, aufzuschreiben.
Ein unterhaltsamer Spaziergang durch die Geschichte
Östergren entfaltet hier auf über 500 Seiten ein groß  angelegtes Gesellschaftspanorama, entwirft ein ebenso lebendiges wie buntes und  episodenhaft bleibendes Bild der 60er- und 70er-Jahre Schwedens. Er schlendert  sozusagen mit großer Lust am ausschweifenden, aber nie langweilenden, Erzählen  durch die Geschichte und beleuchtet einzelne Ereignisse spotlightartig. Nie  verweilt er besonders lange bei einem Geschehnis, und oft wird es nur indirekt  umschrieben. Hier muss der Leser ein bisschen Hintergrundwissen mitbringen, um  die Anspielungen zu verstehen. Doch mindert das nicht das Leseerlebnis, denn  Östergren – der fiktive wie der reale Ich-Erzähler und Autor – spaziert mit so  großer Souveränität und Freude am Fabulieren durch 20 Jahre schwedische und  europäische Geschichte, dass ein äußerst unterhaltsamer und spannender  Streifzug dabei zustande gekommen ist, auf den man als Leser gerne mitkommt.  Wie Klas sich wieder und wieder von Henry dem Mythomanen zu den unglaublichsten  Abenteuern verführen lässt, so lässt man sich auch gerne auf diese Art der Geschichtserzählung  ein. Anhand seiner Figuren – zum einen Klas selbst, vor allem aber das  ungleiche Brüderpaar Leo und Henry Morgan – spiegelt der Autor dabei die große  Geschichte in kleinen Geschichten.
25 Jahre danach: Was wirklich geschah – Wirklich?
In dem 25 Jahre später entstandenen Folgeroman „Gangster“  erfolgt dann die Demontage des Helden Henry Morgan. Man erfährt, dass der  Ich-Erzähler gezwungen wurde, von einem Mann, den alle nur den „Envoyé“ nennen  und dessen brutale Rücksichtslosigkeit Legende ist, bestimmte Teile des Romans  zu verändern, zu verfälschen oder ganz wegzulassen. Auch sei Henry in Wahrheit  gar nicht so sympathisch gewesen, wie ihn die Leser aufgefasst hätten …
Wieder folgt man Östergren auf rund 450 Seiten mit großem  Vergnügen und Staunen auf seiner abenteuerlichen Route, die er bei diesem  Nacherzählen der „wahren“ Geschichte einschlägt und akzeptiert obskure Figuren,  skurrile Wendungen und eigenwillige Pfade, denn sowohl der Autor als auch seine  Figur(en) lügen und dehnen die Wahrheit, erzählen mit so viel Charme, dass man  sich dem kaum entziehen kann, entziehen mag.
Nichts für Krimipuristen, aber großes Lesevergnügen für den genießenden  Leser
Sowohl „Gentlemen“ als auch „Gangster“ enthalten dabei  zwar krimihafte Elemente, sind aber nichts für Krimipuristen. Gefragt ist der  ausdauernde Leser, der nicht den schnellen Nervenkitzel eines Krimis sucht,  sondern genießen kann und Spaß an „großer“, fabulierender Literatur und ihren  Spielen mit Fiktion und Wirklichkeit hat. Der aber wird am Ende der Lektüre der  beiden Romane belohnt, denn er wird ein sehr, sehr glücklicher Leser sein.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
        © Februar 2009 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
        
        
                  
                  
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