 "Das Schweigen" von Jan  Costin Wagner
        - Krimi oder nicht Krimi?
 "Das Schweigen" von Jan  Costin Wagner
        - Krimi oder nicht Krimi?
        Das ist hier ganz egal – „Das Schweigen“  ist literarisch hoch spannend
        
        Der Teilzeit- und Wahlfinne Jan  Costin Wagner gibt vor, einen Krimi zu schreiben. Tut er aber nicht. Jedenfalls  nicht im klassischen Sinn. Das macht aber nichts. Genau deswegen ist „Das  Schweigen“ literarisch hoch spannendes Lesefutter.
          
        Auf den ersten Blick scheint „Das  Schweigen“, der vierte Roman des 1972 im hessischen Langen geborenen Jan Costin  Wagner, ein ganz gewöhnlicher Krimi zu sein: Es gibt ein verschwundenes  Mädchen, die vierzehnjährige Sinikka, das nach dem Volleyballtraining nicht nah  Hause gekommen ist. Die Eltern sind in Sorge, umso mehr, da am nächsten Tag ihr  Fahrrad genau dort gefunden wird, wo vor über dreißig Jahren schon mal ein  unbekannter Täter die nahezu gleichaltrige Pia vergewaltigt und ermordet hatte.  Und es gibt zwei Kommissare, Antsi Ketola und Kimmo Joentaa, die Krimifreunden  schon aus „Eismond“ (2003) bekannt sind.
        
        Ketola wird bei seinem Entrée in  diesem Roman gerade in den Ruhestand verabschiedet, ein halbes Jahr später muss  sein jüngerer Kollege Joentaa im Fall der vermissten Sinikka ermitteln. Ketola,  der die Ermittlungen im Fall Pia vor über dreißig Jahren führte, plagen wegen  des nicht gelösten Mordes noch immer Gewissensbisse und so schaltet er sich in  die Untersuchungen ein. Es wird recherchiert, Verhöre werden geführt,  Zusammenhänge gesucht. So weit, so bekannt.
Dieselbe Erfahrung, eine andere Geschichte 
        Doch bereits wie Jan Costin Wagner  (der mit einer Finnin verheiratet ist, daher spielen „Das Schweigen“ und  „Eismond“ in Finnland) sich dem Thema nähert, ist bemerkenswert. Multiperspektivisch  erzählt er zunächst aus Sicht der damaligen Täter – an der Vergewaltigung und  dem Mord waren zwei beteiligt – und wechselt dann zu den Kommissaren. Später  kommen die Innenansichten der Eltern dazu. Dabei beweist er erstaunliches  Einfühlungsvermögen sowohl in die Psyche der Täter als auch in die der Eltern  und Kommissare. Allen gemein ist, dass sie den Verlust eines geliebten Menschen  zu verarbeiten haben.
        
Die andere Geschichte hinter dem Tod 
        In „Eismond“ wird erzählt, wie  Kimmo Joentaa seine Frau Sanna durch eine Krankheit verliert; mit ihrem Tod  endet auch das Leben, wie Kimmo es gekannt hat, doch die Todeserfahrung  sensibilisiert Kimmo auch, sodass er dem Täter in „Eismond“ auf beunruhigende  Weise näher kommt, als seine Kollegen. In „Das Schweigen“ geht es für Kimmo vor  allem um das Leben nach dem Tod. Ketola wiederum plagt der ungelöste Fall von  vor dreißig Jahren, und in seinem psychisch kranken Sohn hat er seinen ganz  persönlichen, familiären „Todesfall“ – die Krankheit, unter der Tapani leidet,  hat den alten Tapani gleichsam sterben lassen, und Ketola muss lernen, mit  diesem Verlust zu leben und den neuen Tapani zu akzeptieren, wie er ist. So  wird deutlich, dass sich Jan Costin Wagner eigentlich mit ganz anderen Dingen  beschäftigt, als bloß mit der Frage nach dem Wer. Er umkreist vor allem die  Fragestellung, was der Tod in den Menschen auslöst. Dabei entwickeln die  Ereignisse ihre ganz eigene Dynamik.
        
Spannendes Paradox 
        
        Der gewaltsame Tod von Pia löst  jetzt, dreiunddreißig Jahre später, eine ungeahnte Kettenreaktion aus, in deren  Verlauf weitere Menschen sterben. Dem überraschenden Ende nähert sich Jan  Costin Wagner spiralenartig: Von außen dringt er in immer enger werdenden  Windungen zum Kern der Geschichte vor, ohne den klassischen Genreregeln zu  gehorchen und die Ordnung am Schluss wiederherzustellen. Das verstörende  Element dabei ist genau das Moment, das diesen Roman vom gewöhnlichen  Durchschnittskrimi abhebt und der literarischen Form annähert.
          
          So ist es das spannende und lesenswerte Paradox  dieses Werkes, das es sich, als erstes unter den nunmehr insgesamt vier von Jan  Costin Wagner, explizit zum Krimigenre bekennt (vgl. 
http://www.tagesspiegel.de/kultur/Literatur-Belletristik-Jan-Costin-Wagner;art138,2358121),  während es gleichzeitig die konstituierenden Elemente eines Krimis lediglich  strukturell nutzt, um eigentlich von ganz anderen Dingen zu erzählen. Jan  Costin Wagners schnörkellose, aufs Wesentliche reduzierte Sprache ist dabei  nicht simpel, sondern verstärkt die Intensität des Erzählten und den Schrecken,  den er am Ende bereitet.
          
          
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© September 2007 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
      
      
                  
                  
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