| S. 16f Leseprobe
 [Szene im Büro eines kleinen schwedischen Verlages]
 
 Toini hat große Schwierigkeiten, ihre Beherrschung zu wahren. Nicht 
        nur ist ihr Chef nicht, wie versprochen, sofort zurückgekehrt, sie 
        muss sich außerdem mit Magnar Steen herumschlagen, einem Norweger, 
        der mit seinem neuen Roman-Manuskript Die Weintraube aufwartet 
        und sie mit seinem Gerede effektiv von der Arbeit abhält. Sie kann 
        seinen norwegischen Sing-Sang einfach nicht ausstehen. Andererseits war 
        sie dumm genug gewesen, ihm eine Tasse Kaffee anzubieten, an der er sich 
        nun schon seit mehreren Stunden festhält.
 "Du weißt, Mädchen, ich bin Bauernsohn", wiederholt 
        er bei jeder Gelegenheit, "ein einfacher norwegischer Bauernsohn 
        aus Trondheim."
 "Ich dachte, in Trondheim gäb es bloß Fischer?" fragt 
        Toini entnervt. [...]
 "Schau mal hier, Mädchen..." Toini hasst es, wie er Mädchen 
        zu ihr sagt. "...ich lese dir mal ein paar Zeilen vor, die das Dilemma 
        verdeutlichen..."
 Dann zieht er ein Bündel Papier aus dem Umschlag. Auf dem Deckblatt 
        protzt sein Name fett in 36 Punkt. Toini wird von Panik ergriffen. Wie 
        soll man diesen Menschen wieder loswerden? Vielleicht müsste man 
        ihn festbinden und dann zwingen, seinen eigenen Namen aufzufressen. Ihm 
        dabei die Nase zuhalten, sodass er daran erstickt - nur damit endlich 
        Ruhe einkehrt - und sie weiterarbeiten kann.
 Magnar hat aber nach langwierigem Blättern in seinem Papierhaufen 
        die für ihn lebenswichtigen Zeilen gefunden und liest: "Die 
        Haltegurte zwängten sich um seinen Körper. Er beobachtete das 
        Armaturenbrett. Das waren Ziffern sinkender Andacht, Ziffern, die noch 
        vor fünfzig Jahren kein Mensch für möglich gehalten hätte..."
 "Toll, einfach toll", unterbricht Toini schnell, "so wie 
        Sie schreibt niemand sonst, das müssen Sie mir glauben. Und ich habe 
        schon viele Manuskripte gelesen. Nun muss ich mich aber leider um den 
        Anrufbeantworter und das Telefax kümmern." [...]
 Toini scheint den richtigen Ton getroffen zu haben. Magnar schiebt das 
        Manuskript laut seufzend in den Umschlag zurück und will es auf den 
        ihm zugewiesenen Haufen legen, als er zögert und das zuoberst liegende 
        Kuvert anstarrt.
 "Das sind Briefmarken aus Deutschland. Hochkarätige. Die würde 
        meine Tochter wohl gern besitzen wollen. Darf ich den Umschlag haben?"
 Toini will ihn zurückhalten, aber Magnar hat sich bereits bedient. 
        Nur, als er den Umschlag aufreißt, explodiert die Sendung. Die Briefmarken 
        sind hin, und nicht nur die. Hin ist auch die rechte Hand von Magnar, 
        der sich auf dem Fußboden wälzt und wimmernd versucht, das 
        herauspulsierende Blut zu stoppen. Toini steht wie eine Steinsäule 
        und ist sekundenlang unfähig, irgendeinen Gedanken zu fassen. Ihre 
        Augen nehmen die Vorgänge ohne Anteilnahme wahr. Sie sieht, wie sich 
        ein Mann mit einer verstümmelten Hand nun halb aufrichtet und ihr 
        zuschreit, sie möge die Finger suchen. Vornübergebeugt watet 
        der Mann mit den Knien in Blut und glühenden Papierresten; irgendeine 
        Assoziation erinnert sie an das gleiche Bild eines Kriegsfotografen. Das 
        Bild des Jahres, denkt sie.
 
 S. 177f.
 
 [Szene in den engen Gassen von Visby/Gotland während eines 
        mittelalterlichen Ritterturnier für Touristen]
 
 Es ist das eingetreten, was Robert befürchet hat: gerade, wenn es 
        darauf ankommt, hat er einfach keine Kraft mehr. Langsam, wahrscheinlich 
        viel zu langsam, um Borg noch einholen zu können, schleppt er sich 
        voran. Eine Marktschreierin bietet ihm stärkende Wurzeln an, doch 
        so weit er es abschätzen kann, sind das nichts als gewöhnliche 
        Karotten. Karotten aus dem Mittelalter, die das Dreifache kosten. Vor 
        ihm nun wieder so einer in Mönchskutte. Sieht aus wie Borg, nur dass 
        er - selbst bei dieser Wärme - die Kapuze aufhat. Die Leute weichen 
        diesem Mönch schon fast ehrfürchtig aus. Ist es vielleicht doch 
        Borg, der nun ganz in seiner neuen Rolle aufgegangen ist? Robert tippt 
        der Figur von hinten auf die Schulter und fragt: "Lars?" Nein, 
        es ist nicht Lars Borg. Die Figur, die sich nun umdreht, hat sich eine 
        dermaßen gute Toten-maske aufgemalt, dass Robert zunächst völlig 
        erstarrt. Es dauert einige Sekunden, bis er sich wieder gefangen hat.
 "Mein Gott, Sie können einem aber einen Schrecken einjagen", 
        stöhnt er.
 
 
                  "Das ist auch die Absicht", antwortet der Tod, ohne die Miene 
        zu verziehen.
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |  Der spielt seine Rolle ja perfekt, denkt Robert noch, da erkennt er plötzlich 
        über dessen Schulter hinweg wieder den silbergrauen Schopf von Lars 
        Borg. Der steht wartend vor einer kleinen Bude, über deren Verkaufsfenster 
        ein Schild hängt: Ablassverkauf, 15 Kronen pro Kopf. 
        Sieh' mal einer an, Borg versucht, sich von seinen Sünden freizukaufen. 
        Und das für ganze 15 Kronen. Nein, denkt Robert, so billig wirst 
        du mir nicht davonkommen. Diesmal nicht.
 Gerade ist der Tod neben ihm wieder im Begriff, seine beklemmende Wanderung 
        fortzusetzen, als Robert auf die Idee seines Lebens kommt:
 "Halt, warten Sie! Sagen Sie, nehmen Sie auch Aufträge an?" 
        Etwas scheint sich die starre Miene des Todes jetzt doch zu rühren.
 "Kommt drauf an, wie lange ich auftreten soll."
 "Hier, ich gebe Ihnen 300 Kronen. Sie brauchen nur den Mann da vorn 
        an der Ablassbude, den Mönch mit dem Silberhaar, aufzufordern mitzukommen. 
        Und sprechen Sie dann den Satz: Es ist Marjas Wunsch. Klar?"
 "Es ist Marjas Wunsch", wiederholt der Tod mit hohler Stimme. 
        "Kein Problem. Sie wollen einem alten Freund wohl einen Streich spielen, 
        was?" fragt er nun ausgelassen und kassiert die Scheine.
 "Genau. Erraten. Also los."
 "Wie heißt der Kandidat? Das müsste ich schon noch wissen."
 "Borg. Lars Borg", flüstert Robert heiser. Danach zieht 
        er sich zurück und beobachtet mit wachsender Genugtuung die Szene. 
        Der Mann spielt seine Rolle als Gevatter Tod ausgezeichnet. Er schreitet 
        würdig aber unaufhaltsam voran, so dass die Leute wie von selbst 
        zur Seite schrecken. Borg will gerade für seine Sünden bezahlen, 
        da legt ihm Gevatter Tod schwer die Hand auf die Schulter und spricht: 
        "Lars Borg. Deine Zeit ist abgelaufen. Folge mir!"
 Erstaunt dreht Lars sich um. Dann sieht Robert, wie ein Schrecken durch 
        sein Gesicht geht. Wie er plötzlich leichenblass wird.
 "Es ist Marjas Wunsch!" fügt der Tod mit Grabesstimme hinzu.
 Entsetzt stiert Borg den Gevatter an. "Das wollte ich doch nicht", 
        stöhnt er, fasst sich fahrig an die Brust und sackt zusammen.
 "Ich auch nicht", sagt der Tod, nun doch selbst erschüttert, 
        und befiehlt den herumstehenden Gaffern, so schnell wie möglich nach 
        einem Krankenwagen zu rufen. Danach verdrückt er sich zügig.
 Robert weiß, dass man zwei Infarkte innerhalb eines Jahres selten 
        überlebt. Scheinbar besorgt hockt er sich neben Lars Borg auf das 
        Pflaster und stellt alsbald zufrieden fest, dass er Recht hat.
 
 Danke an den JMB Verlag  für die Veröffentlichungserlaubnis, weitere Informationen unter   www.jmb-verlag.de
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